6000 Fans begleiteten den TVU in die bayerische Landeshauptstadt. Fünf Minuten lang durften unsere Rotweißen am 18. Dezember 1976 an der Sensation schnuppern, doch dann war im Münchener Olympiastadion alles vorbei. Als nämlich Mittelfeldspieler Theo Stetter die Chance eines Foulelfmeters gegen Nationaltorwart Sepp Maier ausließ und den Ball neben das Tor setzte, hatte der Spuk vor 8345 Zuschauern vorzeitig sein Ende. Europapokalsieger Bayern München erfüllte „standesgemäß“ seine Pflichtaufgabe mit einem etwas zu hoch ausgefallenen Sieg, erreichte die Runde der letzten 16 und konnte zwei Tage später in Brasilien bei Belo Horizonte noch den Weltpokal mit nach Hause nehmen. Doch was für die einen ein notwendiges Übel des Fußballs war, bedeutete für unsere Spieler ein unvergessliches Fest, den Höhepunkt ihrer Laufbahn.
Der zum damaligen Zeitpunkt 600 Mitglieder starke Turnverein Unterboihingen feierte sein vorweihnachtliches Fest ausgiebig.
Zwei Sonderzüge, 30 Busse und hunderte von Privatwagen beförderten rund 6000 Fans an die Isar. Abteilungsleiter Rolf Strähle seinerzeit: „Wir haben alles mobilisiert, vom jüngsten Nachwuchskicker bis zum ältesten Pensionär“. Der Besucher im weiten Olympiarund staunte nicht schlecht. Da tönte nicht das gewohnte „Bayern – Bayern“ von den Rängen, sondern da klang es laut: „TVU -TVU“.
Selbst Bayern-Manager Robert Schwan wunderte sich: „Das ist ja was völlig Neues, ich komme mir vor wie bei einem Auswärtsspiel.“
Egal, wie viel Tore die Bayern schossen, jede gelungene Aktion des TVU wurde von den Fans aus der näheren und weiteren Umgebung begeistert gefeiert. Und der Bayern – Anhang regte sich nur, wenn der „Maier-Sepp“ sein Gehäuse verließ und zu einem Sturmlauf ansetzte.
Das Volksfest im Olympiastadion schwankte so zwischen Komödienstadel und handfestem Realismus, zwischen Gaudi und bitterem Ernst. Am Ende aber waren sie alle zufrieden. Sieger wie Besiegte. Über den Ehrentreffer freute sich besonders Unterboihingens Spielertrainer „Bubi“ Röcker, der trotz Drängen der Vorstandschaft auf einen Einsatz verzichtete. „Wenn wir auch ein Tor zuviel kassierten, bin ich stolz auf meine Mannschaft, sie hat spielerisch überzeugt und ihr Bestes gegeben“, meinte er in der anschließenden Pressekonferenz. Solchem Lob konnte sich auch Bayern Trainer Dettmar Cramer nicht verschließen. „Wenn es in der zweiten Amateurliga solche Mannschaften gibt, braucht man um die Entwicklung im deutschen Fußball nicht besorgt zu sein.
Die Burschen aus Unterboihingen waren wirklich tüchtige Kerle!“
In der Tat! Tüchtig waren die Großmänner & Co. Beispielsweise der damals 27jährige Bruno Großmann, der in der 68. Minute Sepp Maier mit einem raffinierten Freistoßtor überlistete. Dabei wollte er zuerst in die andere Ecke schießen, entschied sich aber beim Anlauf plötzlich für einen weichen Heber in die linke obere Torecke. Ob solcher Geschicklichkeit verschlug es dem Maier Sepp die Sprache, denn er schaute wie angewurzelt dem Flug des Balles nach. Und da gab es noch den gleichalterigen TVU – Schlußmann Gerhard Hermann, der beim TVU als „Elfmeterkiller“ galt. Sein Kommentar damals: „Beim ersten Mal sprang der von mir abgewehrte Ball direkt vor die Füße von Gerd, so daß ich keine Chance mehr hatte, und beim zweiten Mal hat er den Ball so scharf geschossen, daß ich nicht rechtzeitig heran kam.“
Auch zu später Stunde konnte Unterboihingens Jurastudent Theo Stetter es nicht fassen, daß er in der 4. Minute die Chance eines Elfmeters ausgelassen hatte. Er selbst war zuvor von Sepp Maier gefoult worden, als er nach einem blitzsauberen Konter mit einer weiten Vorlage alleine davonzog. „Noch nie habe ich einen Elfmeter vergeben und dann verziehe ich plötzlich den Schuß. Dabei stand der Sepp schon in der falschen Ecke“, meinte er sichtlich enttäuscht.
Wundern konnte sich auch Roland Großmann, der Bewacher von Gerd Müller. Sein Ausspruch: „Da steht der Müller fast teilnahmslos herum, um am Ball förmlich zu explodieren. Wie der sich dreht, wendet und schießt, da das macht ihm keiner nach. Er ist einfach ein Phänomen.“
Ja, zu erzählen hatten die Unterboihinger Fußballer viel, als sie wenige Tage später wieder an ihrem Arbeitsplatz standen. Vom Zweikampf mit Uli Hoeneß, von dem Trikottausch nach dem Spiel, von den Autogrammen der Bayernstars, von der Massage nach dem Spiel, vom Besuch auf dem Christkindlmarkt und – und – und. Das Fazit nach dem Spiel vom damaligen Vorstand Alfons Straub: „Schön war’s, aber anstrengend! Eine Woche lang war ich nur auf den Beinen, denn von Hamburg bis zum hintersten Winkel Bayerns wollten sie etwas von unserem Verein wissen!“ Eine bessere Imagepflege konnte es jedenfalls für die Amateure vom Neckar nicht geben.
Dem TVU wurden Trainingsanzüge gestiftet, Einladungen zum Essen ausgesprochen und erstmals wurde dem Verein von einer benachbarten Kompressorenfirma ein Angebot zur Trikotwerbung auf Vermittlung der Herren Eugen Rehkugler und Wolfram Straub gemacht. Die schnell angeknüpften Kontakte wollte man eigentlich nicht wieder so schnell abreißen lassen. Man erhielt damals immerhin die Zusage von Bayern Manager Robert Schwan für ein Freundschaftsspiel in Unterboihingen, die jedoch bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingehalten wurde. Eines war jedoch für die Zukunft bereits gesichert. Der TV Unterboihingen durfte auf nationaler Ebene wiederkommen!
Dank dem Gewinn der württembergischen Pokalmeisterschaft war er auch im nächsten Jahr in der DFB – Pokalrunde dabei und man unterlag am 30. Juli 1977 vor über 3000 Zuschauern im schmucken Friedrich – Ebert – Stadion dem VfL Hildesheim nach Verlängerung mit 1:4. Damit war die schöne Pokalzeit, die den TVU über Jahre hinaus bekannt gemacht hatte, zu Ende. Gesprochen wird aber auch in naher Zukunft noch über dieses oder jenes Spiel, das den Ruhm der Unterboihinger Fußballer in jener und auch noch in heutiger Zeit gewaltig aufpolierte.
Die Mannsschaftsaufstellung beider Teams von München TVU:
Hermann, R. Großmann, König, Benz, Goldmann, Kimmerle, L. Großmann, H. Großmann, N. Grossmann, Striegel, Klein, B. Grossmann, T. Stetter.
FC Bayern:
Maier, Andersson, Schwarzenbeck, Roth, Weiß, Horsmann, Arbinger, Künkel, Seneca, U. Hoeneß, K.H. Rummenigge, G. Müller, Kapellmann.